Seit 2014 gibt es die DIN EN 50600, die erste europaweit länderübergreifende Normenfamilie, die mit einem ganzheitlichen Ansatz umfassende Vorgaben für die Planung, den Neubau und den Betrieb eines Rechenzentrums macht. Als Mitglied des Normenausschusses war und bin ich an der Entwicklung und Zusammenstellung dieser Norm beteiligt. Mit Stolz kann ich sagen: Die Norm hat sich durchgesetzt und wird künftig weiter an Relevanz gewinnen. Denn sie wird durch die Überführung in die international gültige ISO/IEC TS 22237 zum weltweiten Standard. Die DIN EN 50600 ist eine Erfolgsgeschichte. Zugegeben, kein Erfolg in Raketengeschwindigkeit, dafür ist das Thema zu komplex. Aber die Norm ist mittlerweile akzeptierter Standard und findet zunehmend Anwendung.
Ein roter Faden
Noch in diesem Jahr werden weitere Überarbeitungen von DIN EN 50600 Teilnormen veröffentlicht – Anlass genug, sich dem Thema näher zu widmen und ein Anlass, die überarbeitete und erweiterte Fassung der Prior1 „eFibel EN 50600 – Wegweiser für den Bau und Betrieb von Rechenzentren“ vorzustellen. In der neuen, 69 Seiten langen, Version der eFibel erläutern neun Rechenzentrum-Experten die Ansätze, Methoden und Anforderungen der Normen. Das bedeutet für die Nutzer: weniger Rechercheaufwand und mehr Klarheit. Und damit auch mehr Sicherheit. Die eFibel steht allen Interessierten kostenlos zum Download zur Verfügung.
Vor 2014 gab es für Planung, Bau und Betrieb von Rechenzentren eine Vielzahl von Leitfäden. Selbst in kombinierter Form war eine ganzheitliche Betrachtung kaum möglich. Die DIN EN 50600 sorgte für mehr Klarheit und dient als roter Faden für die Bereiche Risiko- und Anforderungsanalyse, Rechenzentrums-Planung, auszuführende technische Infrastruktur sowie Management und Betrieb. Sie liefert umfassende Vorgaben in Hinblick auf die Planung, den Neubau sowie den Betrieb von Rechenzentren und definiert Anforderungen an die Gewerke wie Baukonstruktion, Elektroversorgung, Klimatisierung, Verkabelung sowie Sicherheitssysteme.
Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Energieeffizienz von Rechenzentren. Kennzahlen und Messkonzepte dazu werden entwickelt und skalierbare und modulare Rechenzentrumskonzeptionen empfohlen. Es soll so verhindert werden, dass die Auslegung des Rechenzentrums zu hoch gewählt und darüber unnötige Investitionskosten gebunden werden sowie durch die daraus folgende niedrige Auslastung zusätzliche Betriebskosten durch ungünstige Betriebspunkte der Anlagen entstehen.
Mittlerweile haben die Zertifizierungsinstitutionen ihre Prüfkataloge an die Norm angepasst. Bevor es die DIN EN 50600 gab, haben die Betreiber, wollten sie ihren Kunden die Qualität ihres Rechenzentrums nachweisen, diese nach unterschiedlichen Zertifizierungsstellen auditieren und zertifizieren lassen müssen. Mit der Norm kam erstmals eine Vereinheitlichung der Bewertung der europäischen IT-Infrastruktur.
Aus DIN wird AHA. Die neue eFibel ist verfügbar.
Der 2021 aktualisierte Leitfaden hilft Ihnen bei der Planung und Überprüfung Ihres Rechenzentrums und erläutert die Kriterien zur Zertifizierung nach der DIN EN 50600 Norm.
Vertraut und anerkannt
Mittlerweile sind die Vorgaben der Norm vertraute und anerkannte Regeln. Die neuen Versionen der DIN EN 50600 bringen zahlreiche Verbesserungen. Sie reduziert und vereinheitlicht etwa die Verfügbarkeitsklassen von bislang 4,5 Klassen auf 4 im Bereich Regelung der Umgebungsbedingungen. Auch die Regeln zu den Sicherungssystemen werden entflochten und physische Belange an passenderer Stelle als bisher angeführt. Die Norm umfasst mehrere hundert Seiten, verfasst in Normsprache. Unternehmen, die die DIN EN 50600 als Grundlage anwenden wollen, empfehle ich, sich Experten-Unterstützung an Bord zu holen. Als erster Überblick kann unsere eFibel dienen, aber für die Details bzw. für die konkrete Planung und Umsetzung eines Rechenzentrums nach DIN EN 50600 ist die Unterstützung von erfahrenen Spezialisten mehr als hilfreich. Da die Norm sowohl für kleine als auch für große Rechenzentren gedacht ist, sind viele Themen bis zu einem gewissen Grad Auslegungssache. Schließlich ist jedes Rechenzentrum einzigartig und unterliegt individuellen Rahmenbedingungen, die berücksichtigt werden müssen. Hier gilt es, vor allem, wenn eine Zertifizierung angestrebt wird, die angedachte Lösung frühzeitig vorab mit dem Zertifizierer und designierten Auditor abzuklären. So kann von Beginn an Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Lösung Norm-konform ist oder nicht. Das bietet Schutz vor ungewollten Kosten und Zeitverlust.
Aus DIN wird AHA
Planer und Betreiber von Rechenzentren werden in den nächsten Jahren noch stärker als bisher dem Druck, maximal mögliche Energieeffizienz bis hin zu Klimaneutralität anstreben zu müssen, ausgesetzt sein. Die Norm kann als Orientierung dafür fungieren. Sie wird auch in Zukunft weiterentwickelt werden, wobei abzusehen ist, dass Nachhaltigkeitsaspekte noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. Die Norm wird vor allem in den Details an Reife gewinnen. Aber, und das ist jetzt schon so, sie ist an keiner Stelle übertrieben und in der Praxis anwendbar. Sie liefert zudem einen Kennzahlensatz als Grundlage, der dabei hilft, die Energieeffizienz des Rechenzentrums abzubilden. Hilfreich in Sachen Nachhaltigkeit sind zudem Zertifizierungen wie der Blaue Engel. Sie enthalten Anforderungen, die zwar gesetzlich noch nicht vorgeschrieben sind, aber so einen Ausblick auf politische Vorgaben der Zukunft geben und erahnen lassen, was künftig der Stand der Dinge sein wird.
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Internationalisierung wird neue Aspekte einbringen
Die Überführung der DIN EN 50600 in die ISO/IEC TS 22237 wird dazu führen, dass neue Aspekte hinzukommen und der Thematik neue Impulse verleihen. Planer und Betreiber in anderen Ländern haben andere, zusätzliche Anforderungen an Rechenzentren als Europäer. Ein Beispiel: Für Japan ist das Thema Erdbebensicherheit von enormer Bedeutung. Auch jetzt zunehmend in Diskussion kommende Themen, wie die Nutzung der Rechenzentrumsabwärme, werden Eingang in die Norm finden. Hierbei sind aber auch noch einige regulatorische Themen, wie z. B. die Möglichkeit der Einspeisung von Rechenzentrums-Abwärme in Fernwärmenetze, zu klären.
Unternehmen sollten die DIN EN 50600 nutzen
Ich kann Unternehmen, die ein Rechenzentrum planen, nur empfehlen, die DIN EN 50600 als Basis zu nutzen, um zukunftsorientiert aufgestellt zu sein. So werden Rechenzentren etwa immer noch von vielen Unternehmen viel zu groß dimensioniert. Es wird viel Geld ausgegeben und in der Praxis sind sie dann nur zu 20 % ausgelastet. Die Norm sieht modulares und skalierbares Bauen vor, um derlei Probleme zu verhindern. Sie ist ein einheitliches, bald internationales, Bezugsystem und ein wertvoller Lösungsvorrat, auf den man nicht verzichten sollte.
Über den Autor
Curt Meinig
Dipl.-Informatiker Technische Universität Braunschweig 1984, seit 2006 im Umfeld Rechenzentrumssicherheit und Informationssicherheit tätig. Ab Mitte 2012 für die Prior1 verantwortlich für den Aufbau von Beratungs- und Zertifizierungsdienstleistungen für Rechenzentren und Rechenzentrumsbetreiber. Gestaltung und Moderation von Rechenzentrumsbetriebs- und Notfallprozessen, Rechenzentrumskonzeptionen sowie energieeffizienten und nachhaltigen Rechenzentrumsbetrieb. Seit 2007 Lead Auditor für das TÜV geprüfte Rechenzentrum und die TÜV geprüfte Energieeffizienz im Rechenzentrum. Mitglied des Normenausschusses.