14. Februar 2023 Jan Klasen

Tier Classification System

Systemtechnik, Energieeffizienz, Datensicherheit und Verfügbarkeit – Rechenzentren unterscheiden sich in Hinblick auf viele Eigenschaften. Und bei diesen Eigenschaften gibt es sowohl Standards und Normen zu beachten als auch Zertifizierungen zu erwerben. Häufig werben RZ-Betreiber und Anbieter von Hosting-Diensten – wie zum Beispiel Webhosting oder VPS-Hosting – vor allem mit einer hohen Verfügbarkeit. Dies macht auch Sinn, denn schließlich ist das für Kunden, aber auch unternehmensinterne Nutzer eine sehr wichtige und vor allem einfach zu verstehende Kennzahl. Ob Dienst, Service oder Programm: Was nicht erreichbar ist, kann ich nicht verwenden. Bei Webwendungen erwarten Anwender zuverlässiges Arbeiten rund um die Uhr.

Tier-Topologie als weltweiter Standard

Die sogenannte Tier-Klasse gibt Auskunft über die Qualität eines Rechenzentrums im Hinblick auf die Verfügbarkeit bzw. einen Maßstab für Ausfallsicherheit. Der Standard des Uptime Institute (UI) ist eine bekannte Zertifizierung im RZ-Bereich. Die Tier List ist also eine Einteilung von Rechenzentren in verschiedene Klassen – Tier 1 bis Tier 4, wobei Tier 1 das am wenigsten ausfallsichere Rechenzentrum im Sinne der Zertifizierung ist. Das Wort Tier steht hierbei nicht etwa für ein Lebewesen, sondern ist lediglich ein englisches Wort. Im Deutschen würden wir wahrscheinlich Begriffe wie Klasse, Kategorie, Level oder Stufe an seiner Stelle verwenden. Der Standard des Uptime Institute wird global verwendet, weswegen Bezeichnungen wie „Tier 4 Datacenter“ in der Branche sehr oft anzutreffen sind. Die Tier-Klassifizierung wird aber gerne missverstanden – oder gar missbräuchlich verwendet.

Die Zertifizierung durch das Uptime Institute

Generell gilt bei den Tier-Leveln, dass für die Nummerierung römische Zahlen verwendet werden. Falls also – wie auch in diesem Artikel – die arabischen Nummern 1 bis 4 verwendet werden, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass die Zertifizierung nicht vom Uptime Institute stammt, aber sich dennoch an den bekannten Begriffen orientiert wird. Dies trifft beispielsweise auf Amazon Webservices (AWS) zu. Der Cloudservice des E-Commercegiganten schlechthin, Amazon, verwendet zwar die Bezeichnungen Tier 1 bis Tier 4 für seine Datacenter-Strukturen, hat allerdings nach eigenen Angaben weder einzelne Komponenten noch die gesamte Infrastruktur vom Uptime Institute zertifizieren lassen. Das Uptime Institute verdient mit der Zertifizierung im Tier Classification System, welches es selbst vor über 25 Jahren eingeführt hat, natürlich auch Geld. Nicht jeder RZ-Betreiber möchte dafür bezahlen. Zumal das UI offizielle Zertifizierungen im Tier-System nur selbst vornimmt und z.B. Agenturen lediglich mit guten Verbindungen zum UI oder einer Mitgliedschaft werben. Prinzipiell ist auch ein Tier 1 Rechenzentrum nicht schlechter als ein Tier 4 Rechenzentrum. Es ist immer eine Abwägung. Was braucht ein Anwender wirklich?

Tier I – Stufe 1: das Basislevel

Ein Tier 1-Rechenzentrum ist die Basisvariante eines RZs in Bezug auf die Verfügbarkeit. Ein Tier 1 Rechenzentrum ist geeignet, um beispielsweise die IT eines Büros zu hosten, geht aber schon über eine bloße Büro-IT hinaus. Der Bereich für die IT-Systeme ist nämlich klar von anderen Bereichen – wie Arbeitsplätzen – getrennt, es gibt einen Generator für Stromausfälle und ein Kühlsystem, welches auch außerhalb typischer Bürozeiten laufen muss. Echte Redundanz gibt es hier also nicht. Allerdings fällt auch ein Tier 1 RZ nicht sofort aus, sollte es zu einem kurzen Stromausfall kommen. In der ersten Stufe muss nämlich neben dem Generator auch eine USV verbaut sein. Vor allem schützt ein Datacenter auf der ersten Stufe vor menschlichem Fehler, nicht jedoch vor einem ernsthaften Blackout. Für Reparaturen, oder zum Vorbeugen von Reparaturen im Rahmen der Preventative Maintenance, müssen Systeme heruntergefahren werden. Bei Tier 1 wird von einer Uptime – also einer Betriebszeit – von 99,671 Prozent ausgegangen – das Rechenzentrum darf somit nicht länger als 28,8 Stunden pro Jahr ausfallen.

Tier II – Stufe 2: einfache Redundanz

Wenn Tier 1 die Holzklasse der Rechenzentren darstellt, so ist auf Stufe 2 schon etwas mehr Sicherheit eingeplant. Es gibt eine einfache Redundanz im RZ, aber wie bei Tier 1 nur einen Strom- und Kühlungspfad. Die erwartete Uptime beträgt 99,741 Prozent. Maximal 22 Stunden Ausfallzeit pro Jahr darf es hier geben. Zu den redundanten Komponenten gehören USV-Module, Chiller oder Pumpen und Generatoren. Tier II ist beispielsweise für KMUs geeignet, deren IT zumeist nur während der Geschäftszeiten genutzt wird.

Tier III – Stufe 3: Redundanz und Wartungsfähigkeit

Ein Tier 3 RZ ist anders als bei Tier 2 wartungsfähig. Wenn ein Teil der Infrastruktur ausfällt – oder gewartet wird – fällt das System in der Regel nicht aus. Allerdings gibt es wie bei Tier 2-Rechenzentren immer noch SOFs („Single Points of Failure“), also Komponenten, die nicht redundant ausgelegt sind.

Tier IV – Stufe 4: Fehlertoleranz

Beim Tier 4 Datacenter gibt es mehrere unabhängige und physisch voneinander isolierte Systeme. Es gibt also sowohl für Strom als auch für Kühlung verschiedene Verteilpfade. Diese Trennung ist notwendig, damit ein Fehler in einem Pfad nicht auch den anderen Pfad zum Ausfall bringen kann. Anders als bei Tier 3 gibt es also Fehlertoleranz. Ein Datacenter mit Tier 4 Klassifikation sollte 99.995 Prozent pro Jahr verfügbar.

Anlehnungen an die Klassifikation im Tier-System

Neben den inoffiziellen Zertifizierungen der Stufen 1 bis 4 gibt es auch Anbieter, die ein Tier 5 Rechenzentrum verkaufen. Hier brüstet man sich also damit, die Anforderungen eines nach dem Uptime Institut als redundant geltenden RZs nochmals zu übertreffen. Auch die Norm TIA-942 – welche im angelsächsischen Raum wichtig ist – hat lange die Begriffe Tier 1 bis Tier 4 verwendet. Die Zertifizierungsstelle einigte sich in der Zwischenzeit allerdings mit dem Uptime Institut auf eine andere Bezeichnung (Ratings / „rated 1“ bis „rated 4“), um Anwender nicht zu verwirren, da die TIA-942 die Level leicht anders definierte.

Andere Zertifizierungen sind umfangreicher

Die Zertifizierung nach dem Tier-System ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Anders als die die TIA-942 gibt das Tier-System keine Auskunft über Brandschutz, Überspannungsschutz, physische Sicherheit oder den Lebenszyklus des Backup-Akkus. Für europäische Rechenzentren gilt die DIN EN 50600 als Maßstab. Neben der Verfügbarkeit gibt diese Norm auch noch Auskunft über Leistungsfähigkeit, Sicherheit und optimale Standortwahl. Es ist wahrscheinlich, dass eine internationale Norm, wie die in vielen Fällen mit der DIN EN 50600 identische, ISO/IEC 22237 bald wichtiger wird.