7. Januar 2021 Prior1

Rechenzentrumsgestützte Informationstechnologie = Energieschleuder?

Durch den verstärkten Einsatz von Informationstechnik in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen entsteht deutschland-, europa- und weltweit ein stetig steigender Bedarf an Rechenzentrumskapazität. Im privaten Umfeld ist die Nutzung von Smartphone-Apps, Social-Media, Streaming- und Cloud-Diensten selbstverständlich geworden. Im gewerblichen Bereich ist der Einsatz von IT für z. B. Buchhaltung, Zahlungsverkehr, Fertigung, Logistik, Kommunikation usw. wesentlicher Bestandteil einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise.

Die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen und Entwicklungen wie Internet of Things, Industrie 4.0, autonome Fahrzeuge etc. wird diese Entwicklung weiter vorantreiben.

Laut einer Studie des Borderstep Instituts betrug der Strombedarf von Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2019 ca. 14,9 TWh. Dies entsprach etwa 3% des Stromverbrauchs der Bundesrepublik Deutschland. Das Flächenwachstum von Rechenzentren in Deutschland beträgt laut Borderstep Institut jährlich über 4%. In der Stadt Frankfurt, wo sich aufgrund des Internetkontenpunktes DE-CIX besonders viele Rechenzentren angesiedelt haben, hat der Energiebedarf der Data Center bereits einen Anteil von 20% am Gesamtstrombedarf der Stadt.

Der Energiebedarf und damit auch die durch Rechenzentren freigesetzten klimawirksamen Treibhausgasemissionen sind gewaltig. Besonders dramatisch daran ist, dass nach wie vor der größte Teil der von elektrisch in thermisch gewandelten Energie ungenutzt an die Umwelt abgegeben wird. Dabei könnte die sinnvolle Nutzung der Abwärme der Rechenzentren an anderer Stelle den Einsatz von fossiler Energie zur Beheizung von Gebäuden und Brauchwasserbereitung ersetzen.

Es besteht nach Ansicht von Stefan Maier dringender politischer Handlungsbedarf, um das Freisetzen ungenutzter Wärmeenergie ggf. zu sanktionieren, durch eine angemessene CO2 Besteuerung unattraktiv zu machen oder positive Anreize für die Abwärmenutzung zu schaffen und die Rahmenbedingungen hierfür deutlich zu verbessern. Dabei sollten jedoch nicht nur die großen Dienstleistungsrechenzentren betrachtet werden, sondern auch die vielen tausend, über Deutschland verteilten, Server- oder IT-Technikräume.

Download: Leitfaden zur DIN EN 50600 Norm für Rechenzentren

Dieser Leitfaden hilft Ihnen bei der Planung und Überprüfung Ihres Rechenzentrums und erläutert die Kriterien zur Zertifizierung nach der DIN EN 50600 Norm.

Es ist in letzter Zeit zu erkennen, dass die Thematik zunehmend auf verschiedenen politischen Ebenen diskutiert und behandelt wird. So fordert die Europäische Kommission beispielsweise im Papier „Shaping Europe’s Digital Future“ aus dem Jahr 2020 die Klimaneutralität aller europäischen Rechenzentren bis spätestens 2030. Die Bundesregierung erwähnt das Thema Abwärmenutzung von Rechenzentren z. B. als Maßnahme in ihrem aktuellen „Neuen Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“ (NAPE 2.0) im Rahmen der „Energieeffizienzstrategie 2050“.

Nun ist es an der Zeit diese Absichtserklärungen in konkrete Maßnahmen, Gesetze und Förderungen umzusetzen!

Rechenzentren und die gesamte Informations- und Telekommunikationstechnologie sind, wie oben beschrieben, enorme Energie- und Ressourcenverbraucher. Jedoch scheint es nicht verantwortungsvoll, diese Verbräuche immer wieder einseitig zu brandmarken und als rein zusätzlichen Energieverbrauch darzustellen.

Gerne wird übersehen, dass die IT in vielen Fällen hilft, Energie einzusparen und anderweitige Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Nachfolgend einige Beispiele:

Aktuell erleben wir, wie ein globales Wirtschaftssystem trotz sehr eingeschränkter Reisetätigkeiten funktioniert. COVID-19 hat uns alle sehr schnell und ohne Rücksicht in das Homeoffice verbannt. Plötzlich funktioniert, was vorher unvorstellbar war. Millionen und Milliarden von Reisekilometern wurden von der Straße und vom Himmel geholt. Die Einsparungen von Treibhausgasemissionen durch rechenzentrumsgestützte IT sind allein in diesem Sektor enorm.

Die IT ist das Rückgrat des Smart Grid, welches einen wesentlichen Baustein der angestrebten Energiewende darstellt. Der Bedarf an intelligenter Steuerung wird mit der Zunahme regenerativer Energien massiv zunehmen. Energieströme können durch die IT überwacht, gesteuert und zum Verbraucher geleitet werden. Durch IT werden schwankende Verbräuche und Produktionen zusammengebracht. Energieüber- oder -unterproduktion wird im Voraus prognostiziert, Reservekraftwerke, z. B. Gaskraftwerke, können rechtzeitig hochgefahren oder das Einspeichern von überschüssiger Energie veranlasst werden. Die notwendige Energiewende ist nur durch intelligente IT möglich.

 

Was beim Smart Grid im Großen gilt, trifft genauso auf das Smart Home oder bei Produktionen zu.

Energie wird bereitgestellt, wenn sie benötigt wird, wenn Überschüsse vorhanden sind und Energie daher besonders günstig ist. Sektorenkopplung ist die Zauberformel.

Schauen wir uns einen kritischen Bereich an, der oft als reiner zusätzlicher Energieverbraucher und Energievernichter verurteilt wird: Das Streamen von Filmen. In der Tat, der Energieverbrauch dabei ist riesig. Doch wird dagegengestellt, was es noch vor wenigen Jahren bedeutete, wenn wir einen Film im heimischen Wohnzimmer schauen wollten? Es blieb uns die Wahl, einen Film auf DVD zu kaufen und anschließend in den Schrank zu stellen oder in die Videothek zu fahren, um dort einen Film auszuleihen und zurückzubringen oder zurückzusenden. Das Schauen eines Films war somit mit der Herstellung eines Filmträgers verbunden, mit einem Reiseweg und mit dem Energieverbrauch des Abspielgerätes.

Klar, das einfache und bequeme Herunterladen und das unermessliche Angebot lassen uns heute weitaus mehr streamen, als wir uns früher über DVD angeschaut haben. Somit wird ein Vielfaches an Energie verbraucht. Doch es sollten zumindest die vorherigen Aufwände gegenübergestellt werden.

Die Energieeinsparung durch IT geht noch viel weiter. Denken wir doch nur an die potenziell gewaltigen Einsparmöglichkeiten in der Verkehrsleittechnik, in der Landwirtschaft oder Medizin.

Natürlich werfen die aufgeführten Anwendungen sicherheitsrelevante und gesellschaftliche Fragen auf, denen wir uns zu stellen haben. Auch muss uns, wie am Beispiel Streaming oben bereits gezeigt, bewusst sein, dass die Möglichkeiten IT-gestützter Energie- und Treibhausgaseinsparungen Reboundeffekte (Rückkopplungen) nach sich ziehen, die die Vorteile zunichte machen können. Daher ist eine konsequente ordnungs- und fiskalpolitische Steuerung notwendig und der Druck auf die IT- und Rechenzentrumsbranche zu erhöhen, sollen die energetischen Vorteile am Ende überwiegen.

Jedoch sollten wir die rechenzentrumsgestützte Informationstechnologie nicht nur als zusätzlichen Energieverbraucher verurteilen, sondern auch als Chance zum Energieeinsparen und darüber hinaus zur Erreichung weiterer Nachhaltigkeitsziele.

Eventuell ist unter Berücksichtigung möglicher Einsparungen in anderen Sektoren und bei konsequenterer Energie- und Ressourcenoptimierung innerhalb der IT und Rechenzentren eine positive Umkehr möglich. So wandeln sich Rechenzentren vom Problem zum Teil der Lösung.

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